Liebe TraumaHelfer,
nun steht uns der wohl bisher am weitesten entfernte globale Auftrag bevor. Am Mittwoch, 09. August 2017, startet unser Flieger von Frankfurt am Main aus nach Indien/Hyderabad. Wir werden dort in den folgenden drei Wochen an drei verschiedenen Standorten Fachkräfte schulen, die mit indischen traumatisierten Kindern, Jugendlichen und Frauen arbeiten.
Mit an Bord sind:
Thomas Loew (Dozent), Beate Leinberger (Dozentin), Elias Borgs (Kameramann), Ulrike Paeper (Organisatorin) und Tobias Paeper (Dolmetscher und Organisator).
Die Einladung zur Schulung verschiedener Einrichtungsmitarbeiter erfolgte im Jahr 2016 über das indische "Child Guidance Centre" auf die engagierte Initiative von Ulrike Paeper hin.
Mehr zum Child Guidance Centre erfahrt ihr in Tobias Paeper´s Blog:
Das Child Guidance Centre (CGC) ist eine anerkannte Einrichtung für Menschen mit Behinderungen in Indien. Gegründet wurde das CGC 1973 als Schule für Menschen mit Behinderungen von einer klinischen Psychologin. Im Jahre 1999 übernahm Dr. P. Frank Viswanath die Schule. Seit 2001 wird das CGC von dem Mosbacher Verein „Partnerschaft In Einer Welt e.V.“ unterstützt und begleitet. Das Child Guidance Centre ist Träger von zwei Schulen für Menschen mit Behinderungen, eines Berufsbildungswerks, eines Rehabilitationszentrums für Frauen, sowie mehrerer kleinerer Projekte. Eine Übersicht über alle Projekte finden sie unter Projekte des Child Guidance Centre.
Die Mitarbeiter des Child Guidance Centre arbeiten unter dem Motto: „Reaching the Unreached“ (Die Unerreichten erreichen).
Wer Tobias Paeper´s Blog besuchen möchte, kann sich noch weiter umfangreich über die Arbeit in Indien informieren:
https://tobiasinindien.wordpress.com/das-child-guidance-centre/
Tag 1:
Am Abend wagten wir uns in den Außenbereich des Hyderabader Stadtzentrums. Dies war ein Erlebnis für sich, mitten im bereits gestern beschriebenen Straßenverkehr zu Fuß unterwegs (ohne Gehwege). Als Fußgänger bedeutet die Hupe von hinten, vorne, rechts oder links immer: FREEZE-KEINE BEWEGUNG-SONST WIRST ÜBERFAHREN. Diese Strategie ist ÜBERLEBNSNOTWENDIG. Eindrücke unserer Tour schicke ich als Fotos, Bilder erzählen mehr als Worte…
Tag 2:
Guntur – der zweite Tag: Uns war wichtig, dass das SPRINTS (Sandplay Reprocessing Integrating Nornverbal Trauma-Techniques and Selfstabilization), also unser Sandspiel auch tatsächlich umgesetzt wird, deshalb starteten wir heute ganz konkret mit 10 Mädchen aus dem “Girls-Project“, die von den 9 Trauma-Helferinnen und einem – Helfer begleitet werden, die dann auch mit den Mädchen zwischen 6 und 11 Jahren weiterarbeiten werden. Schritt für Schritt – bei ARAMSAMSAM mit Unterstützung der 40 weiteren Teilnehmer –arbeiteten wir uns durch die Agenda – erste Sandspielrunde, die von den Kindern spontan gut gestartet wurde, der Zwischenstabilisierung mit dem Malen der „großen“ Liegenden 8, bei der wir den Kindern zum Teil erst klar machen mussten, dass es hier nicht um Papiersparen geht und nicht um Schönschrift, der 2. Spielrunde, dem abschließenden ARAMSAMSAM und einer ausführlichen Rückmelderunde der Trauma-Helfer, die den Prozess begleitet haben. Sehr schnell hatten diese begriffen, worum es geht, und sehr genau beschrieben, was sie bei den Kindern gesehen haben –den Ablauf des individuellen Spiels, das Zögern, die Herausforderung präsent zu sein und geduldig zu begleiten, was immer das Kind auch spielt. Danach gab es im Plenum nach der obligatorischen Tee-Pause eine sehr kritische Diskussion, einige Teilnehmer hatten Seitenlange Fragelisten mitgebracht, die auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau, z.B. was die konkreten neurologischen Aspekte des Lernprozesses beim motorischen Lernen der Liegenden 8 anging, die empirische Begründung des Vorgehens und Studienlage für unser Vorgehen generell beinhalteten. Nach etwa 30 min vertagten wir den weiteren Austausch dann auf die Mittagspause. Danach stellten wir das Konzept der Lebenslinie vor: Das Datieren der schlechten und der guten Erlebnisse und die Beurteilung der Belastung durch die individuellen Ereignisse mit Hilfe der skizzierten Trauma-Landschaft, das dem EMDR entstammt. Abschließend wurde noch das Prinzip des slow-paced breathing vorgestellt und praktisch gezeigt (mit der Faltzetteldokumentation). Nach der Mittagspause ging es in 2 Gruppen a 27 Teilnehmern weiter: jeweils zu dritt bis zu viert legten die Teilnehmer ihre “Lifelines“, platzierten ihre Highlights und Belastungen, bewerteten die Ereignisse, suchten sich dann das beste Lebensereignis aus, malten es als “Snapshot“ und erlebten das „Verankern und Vertiefen“ dieses Bildes als Inneren Sicheren Ort mittels langsamer bilateraler Stimulation . Nach den kritischen Rückmeldungen am Ende des Vormittags hatten wir es nun zunehmend mit angenehm überraschten Gesichtern zu tun, weil die Teilnehmer nun tatsächlich spüren konnten, dass sich etwas verändert. Trotz widriger Umstände, denn für mehrere Stunden war die Einrichtung ohne Strom und ohne fließend Wasser, was aber niemanden groß irritierte. Gut, dass wir viele Akkupacks dabei haben, so konnten wenigstens die Kameras weitersurren und unser Anspruch, alle Seminareinheiten aus wenigstens 2 Perspektiven aufzuzeichnen, trotzdem klappen.
In der abschließenden Einheit, die eine Zusammenfassung der Entspannungstechniken und Integration der Entspannungs-Interventionen beinhaltete waren wir dann schon soweit indianisiert, dass wir die Inhalte mittels Pantomime statt Power Point und Symbolträgern aus dem Garten überbrücken konnten.
Höhepunkt war die Integration von Bewegung und Atmung mittels Funktioneller Entspannung, natürlich eingebettet in eine Vorher – Nachher Dokumentation mittels visueller Analogskalen – wie auch bei den anderen Interventionen, so dass wir bald über eine kleine kontrollierte prospektive Studie berichten können – Wie können Menschen, die gut Yoga erfahren sind – und das sind hier alle – mit unserer Funktionellen Entspannung entspannen. Vollends überzeugt von dem Konzept der kleinen Bewegungen waren unsere Teilnehmer übrigens nach dem Youtube Clip – The Hold – von einem kalifornischen Kinderarzt - mehr wollen wir hier nicht verraten. Das Abschiedsfoto und ARAMSAMSAM goes India findet ihr bald auf YT. Morgen geht unsere Reise durch den Monsun am Ende der Welt (wir sind hier wahrscheinlich weiterhin die einzigen Europäer auf 50.000 qkm) in den Dschungel – wenn die Mückenplage (Dengue-Fieber-Überträger) nicht zu groß ist. Den Abend haben wir in kleiner Runde mit wechselseitigem Zitieren von Gedichten auf Telugu und Deutsch gestaltet (da es hier kein Fernsehen und keinen Internetzugang gibt) und unsere eigenen Bollywood-Inszenierungen. Wir können seit gestern Indische Musikvideos nur empfehlen! (den Link kriegen wir noch raus).
20.08.2017
Gestern haben wir eine weitere Studienreise in das ehemalige zerstörte Tsunami-Gebiet südlich von Guntur gemacht. Wir fuhren 65km auf sehr abenteuerlichen Straßen und konnten erneut Einblick in die ländliche Gegend erhalten. Neben Cashew- und Mangoplantagen gibt es in dieser Region vor allem Reisanbau, welcher sich im Monsun in der Pflanzphase befindet.
Zuerst besuchten wir ca. 5km vom Strand entfernt das direkt nach dem Tsunami erbaute „Mosbach-Shelter“. Ein Gebäude mit Treppenaufgang zu einer Art Dachterrasse, die im Falle einer Flut den umliegend wohnenden Menschen Schutz bieten soll. Der Tsunami reichte damals mehrere Kilometer ins Landesinnere. Das „Mosbach-Shelter“ wird ca. 5-6x jährlich für solche Notsituationen genutzt, denn es gibt auch weniger dramatische, aber dennoch bedrohliche Naturkatastrophen wie Zyklone, die besonders für die Armen, die hier vielfach noch in einfachen mit Palmblättern gedeckten Hütten leben. Daneben werden die Innenräume für monatliche Versammlungen der weiblichen Bevölkerung oder als Notunterkunft für einzelne Familien aus unterschiedlichen Gründen genutzt.
Bei der Anfahrt zum „Mosbach-Shelter“ hat unser Fahrer den Bus ordentlich im Sand festgefahren, so dass wir auch noch ein kleines „Nebenabenteuer“ hatten. Mit vereinten Kräften und Elias´kluger angewandter Physik in Form von untergelegten Steinen und alten Türblättern konnten wir einen sehr gestressten Fahrer wieder zum Lachen bringen, das Auto befreien und nach einem kleinen Lunch (gelber Reis mit Ei) weiter fahren.
Am Meer haben wir eine kleine Rast gemacht und in kompletter Kleidung (das ist indische Baderegel) in den ca. 2m hohen Wellen das badewannenwarme Wasser des Pazifiks genossen.
Danach ging es munter weiter zum nächsten „Bala Bata“, vor dem uns die Kinder bereits freudig erwarteten, mit Blumen begrüßten und ihre Lieder sangen. In diesem „Bala Bata“ werden seit 6 Monaten die Kinder der in den Verkaufsständen am Strand arbeitenden Eltern betreut. Der Strandabschnitt hier ist seit dem Tsunami als Touristenort zusammen gebrochen und es wird seit 13 Jahren versucht, die Attraktivität wieder herzustellen. Immerhin konnten wir einige Inder sehen, die sich als Touristen hier aufhielten sowie ein kleines Ferienresort. Ausländische Touristen gibt es noch nicht, so dass die Menschen hier insgesamt sehr arm sind.
Laut unseren indischen Freunden wurden hier nach dem Tsunami über mehrere Wochen täglich 2000 Menschen versorgt, verarztet oder zur Bestattung gebracht. Die indischen Mitarbeiter, die damals vor Ort dabei waren, sind zum großen Teil noch immer von den vergangenen Bildern belastet, genauso wie die Menschen, die mit Müh und Not überlebten.
Heute haben wir das Trauma Centre besucht. Hier wohnen 45 Mädchen und junge Frauen, die unterrichtet werden und im Anschluss an die 10. Klasse Ausbildungen absolvieren können. Sie werden zum Beispiel Schneiderinnen, was ein gutes Lebenseinkommen sichert oder – ebenso mit relativ hohem Einkommen für eine Frau – Beautycianer.
Weiter Möglichkeiten bietet dann das College, welches wir vor einigen Tagen besuchten und beschrieben.
Die Mädchen hatten eine Menge Fragen bezüglich unseres Schulsystems, der Versorgung alter Leute und dem Umgang mit Heirat und Scheidung. Sie waren sehr interessiert an den Möglichkeiten, mit Bildung, Ausbildung und der Kraft des eigenen Verdienstes in unserem Land als Frau auch ohne Mann gut und unabhängig leben zu können, da dies gerade hier noch sehr schwierig ist. Uns offenbarte sich ein neunzehnjähriges Mädchen, das die Ausbildung im Trauma Centre auf Wunsch der Eltern abbrechen soll, um verheiratet zu werden. Sie möchte dies nicht, aber das Trauma Centre oder die Projektleiter von CGC oder CARDS haben keinerlei Einflussmöglichkeiten. Problematisch ist, dass ein Mädchen umso teurer bzgl. Mitgift wird, je mehr gebildet es ist. Somit haben „Mädchen-Eltern“ üblicherweise kein Interesse an hoher Schulbildung der Töchter. Manchmal hat eine Frau die Chance, nach der Heirat die Ausbildung oder Schulbildung fortzusetzen, wenn der Ehemann dem zustimmt. Auch eine solche Frau haben wir kennen gelernt, die im Trauma Centre unterrichtet und somit ein gutes Vorbild für die anderen Mädchen sein kann.
Mit gemischten Gefühlen sind wir wieder zurück gefahren, konnten jedoch strukturell die Etablierung der Traumatherapie für alle dort lebenden Mädchen besprechen und in die Wege leiten, denn sie haben alle furchtbare Erlebnisse mit Verlusten, Gewalt, Verbrennung etc. hinter sich. So wird demnächst einmal pro Woche jedem Mädchen eine Traumatherapiestunde mit „Lifeline“ und EMDR nach unserem Modell angeboten, da die Betreuer (Psychologen, Sozialarbeiter) unseren Kurs besucht haben und mit Unterstützung eines hier gedrehten Lehrfilmes das Gelernte umsetzen können.
Nachdem wir gestern Nacht auf der Heimfahrt eine satte Reifenpanne hatten – der rechte Vorderreifen des Busses platzte bei voller Fahrt und wir schlingerten und hoppelten unter Begleitung von viel Gehupe der anderen Autos, Lorries und TukTuks auf den Standstreifen, wo wir mit wenig brauchbarem Werkzeug mal wieder vereint den Reifen wechselten (JA! Es gab ein Ersatzrad im Wagen!!!!)– sind wir nach Mitternacht reichlich erschöpft ins Bett gefallen. Derzeit haben wir Außentemperaturen von 45 Grad im Schatten, die sich nachts nur mäßig abkühlen. Die hohe Luftfeuchtigkeit von nahezu 100% lähmt sukzessive über den Tag hinweg die Lebensgeister und man muss sich nicht mühen, trotz der klimatisch anstrengenden Bedingungen einzuschlafen. Adventure pur!
Am Morgen ging es dann munter weiter mit dem nächsten TraumaHelfer Kurs. Wir haben heute den Rekord mit 83 Teilnehmern gebrochen! Es lernten Lehrer, Betreuer, Sozialarbeiter und College-Studentinnen in einem ca. 60 qm großen Raum unwahrscheinlich diszipliniert und wissbegierig bei wiederum 45 Grad Außentemperatur und mäßig klimatisiertem Innenraum. Sie erfassten die Basics der Neurophysiologie sehr schnell und ergänzten sehr klug und kreativ ihre eigenen indischen Techniken bilateraler Stimulation. Wiederum beeindruckte die schnelle Wirkweise der Sandspieltherapie, denn auch in diesem Kurs legten wir Wert auf Selbsterfahrung trotz hoher Teilnehmerzahl. Die häufigsten genannten „bad experiences“ waren unter anderem Autounfälle, was bei diesem verrückten Verkehr nicht verwundert. Wir erlebten – nicht anders wie zu Hause – die sehr schnelle emotionale Beteiligung der „sandplayers“ und konnten mit den Stabilisierungstechniken SURE, entschleunigtem Atmen und bilateraler Stimulation, am eigenen Leib erfahren, überzeugen.
Heute erprobten wir zum ersten Mal die Vermittlung der neurophysiologischen Vorgänge per Theaterstück. Die Teilnehmer formierten sich als „Gehirn“ im Innenhof und spielten die Vorgänge in Amygdala, Insula und Hypothalamus nach. Alle hatten viel Spaß dabei und in der anschließenden Examination konnten die Antworten von sehr vielen Befragten richtig wiedergegeben werden, obwohl sie zum ersten Mal mit diesen Wörtern konfrontiert waren.
Am Abend findet nun noch eine „Visitation“ bei erkrankten indischen Patienten statt und morgen starten wir in den zweiten Tag unseres dritten indischen TraumaHelfer-Kurses.
2. Kurstag:
Bis zum Beginn des zweiten Tages unseres dritten Traumahelferkurses hatten wir – zum Teil die Nacht hindurch – den letzten Fragebogen in telugu übersetzt, ein Lehr- und Lernlied zur Selbststabilisierung gedichtet und übersetzt und als Singspiel inszeniert.
Begonnen haben wir den heutigen Kurs – wie beim letzten Mal auch – mit einer kompletten Sandspieltherapie-Session mit den Mädchen des „Child Project“, die somit bereits ihre zweite Sandspielstunde hatten. In der Abschlussrunde berichteten die ausgewählten TraumaHelfer differenziert über ihre Beobachtungen und auch der Zuhörerkreis (über 70 Tn) war sehr diszipliniert dabei. Weiterhin erarbeiteten wir am Vormittag „Slow Paced Breathing“ und vermittelten die diagnostische Bedeutung der Herzratenvariabilität und deren Beeinflussung durch die Atmung sowie die einzelnen Schritte der Lifeline bei über 40 Grad und drückender Schwüle. Mittags entdecken wir unseren Zeitungsartikel in der „Mittelbayerischen“. Danach ging´s weiter mit Übungen zu Lifeline, Trauma-Landscape, Innerem sicheren Ort und EMDR und im Anschluss wurde es heute besonders wissenschaftlich: Wir erklärten unsere Testbefunde der ersten Sandspieltherapiegruppe mit den Regensburger Flüchtlingskindern und gaben eine kurze Einführung in die Forschung: Die Teilnehmer lernten kennen, was eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Untersuchung ist und was mit den jetzt übersetzten Fragebögen gemessen werden kann. Danach wurde es wieder „bewegt“ und eine kleine Gruppe zeigte die selbst einstudierte Premiere des „Trauma-Self-Help-Songs“ auf Telugu, welche heftig beklatscht wurde (englischer Text: Though afraid here I stay, swinging move my fear away (Erklärung von SURE). Count 4 while breathe in, count 6 while breath out, I'll be calm in minutes though they me shout loud (Erklärung von “slow paced breathing”= entschleunigte Atmung). Cross clap my arms, look left and right, won't freeze, I'm clear, can concentrate (= Bilaterale Stimulation. Zum Abschluss wurde im Innenhof der 2- Teil des “Brain-Theatres“ geprobt und vorgeführt, um die (neuro-)physiologischen Vorgänge noch einmal verdeutlichen und verinnerlichen helfen sollte.
Nach dem Kurs fand eine „Visitation“ mit ca. 40 Mädchen aus dem „Girl´s Project“ statt, die die Mädchen sich nach unserem letzten Besuch dort dringend wünschten. Mit einem Bus wurden sie zu uns gebracht, setzten sich im Innenhof im Kreis zusammen und mit Hilfe einer Übersetzerin erzählten die Mädchen ihre emotionalen Schwierigkeiten, die sich aufgrund ihrer schweren Schicksale zeigen und die ihnen oft das Leben weiterhin erschweren. Meist wurden sehr klar Traumasymptome geschildert oder Symptome aufgrund depressiver Episoden und Bindungsstörung. Dies war mit Sicherheit eine der schwierigsten Momente unserer Reise, da uns 40 erwartungsvolle Augenpaare ansahen, die stumm um Hilfe baten und sich kaum in Worten ausdrücken konnten. Dank der übersetzten Fragebögen konnten wir die Symptome durcharbeiten und dadurch –auch die Betreuer-psychoedukativ unterstützen. Wir übten im Kreis gemeinsam bilaterale Stimulation zur Selbststabilisierung und – da bereits zehn dieser Kinder an den Sandspieltherapiestunden teilnahmen – ARAMSAMSAM. Viele der Kinder benannten die Schwierigkeit, Gefühle zu regulieren und häufig nicht steuerbare Überreaktionen zu haben, so dass wir auch mit dieser Gruppe spontan ein kleines Theaterstück inszenierten, in welchem die neurophysiologischen Vorgänge nach Traumatisierung verdeutlicht werden konnten. Neben der intensiven Runde haben wir über den Beginn der jetzt anstehenden Traumagruppen für die unter 12-Jährigen und über 12-Jährigen gesprochen, die baldmöglichst beginnen soll.
Den Abschluss bildete eine schöne Zeremonie, wo wir Dozenten und Projektmitwirkende noch durch das Umhängen sehr aufwändig gearbeiteter Schals (und jetzt wissen wir ja, wie Handarbeit in Indien geleistet wird, die wir vorgestern sehen konnten) geehrt. Den Abschluss bildete die aus voller Kehle gesungene indische Nationalhymne (auf Hindi), die von den Kindern unter 17 noch gar nicht verstanden wird, denn diese Sprache wird erst im Junior College vermittelt (wenn überhaupt). Hindi hat mit Telugu überhaupt nichts gemein. Es ist in etwa so, wie wen wir Russisch lernen müssten (haben uns Sprachkundige so erklärt). Absolut schweißgebadet war unser Ziel war nur noch, möglichst schnell in eines der wenigen klimatisierten Kaffees in der Millionenstadt Guntur zu kommen, um überhaupt ein wenig abzukühlen. Duschen? Das Wasser, das in einem Tank auf dem Dach gespeichert wird, ist so heiß wie die Luft und wenig erfrischend. Morgen heisst es dann Abschied nehmen von Guntur und für einen Tag zur Erholung an den Indischen Ozean.
25.08.2017
Heute war unsere Rückreise von Guntur nach Hyderabad. Wir waren für 360 km insgesamt 7h „on tour“, da die Straßenverhältnisse sehr schlecht waren, es hatte Unmengen geregnet. Wir hatten nach dem letzten Kurs nun einen sehr schönen, wenn auch sehr nassen ;-) – Aufenthalt am Meer, was für uns in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Erlebnis war. Der Indische Ozean ist pipiwarm, hatte während unseres Aufenthaltes hohe Wellen, in die nur wir „verrückten Deutschen“ sprangen, wir waren die einzigen Strandgäste, Baden im Meer bedeutet für Frauen in nicht ausländisch geprägten Hotelanlagen Baden in voller Bekleidung, wir machten Bekanntschaft mit großen roten Krabben und hatten ein romantisches Stranddinner zu zwölft. Unsere Gastgeber gaben sich große Mühe, uns ein gelungenes Dankeschön für unsere bisherige Arbeit zu geben!
Die nächsten Tage sind jetzt erfüllt von Aufarbeitung der Daten aus dem letzten Kurs und Vorbereitungen für den nächsten Kurs, zu dem wir wieder über 50 Teilnehmer erwarten dürfen. Wir wollen vier Therapiegruppen mit insgesamt 40 Kindern auf den Weg bringen, die dann bereits im November evaluiert werden können, wenn alles klappt. In Indien „takes all its own time“, so dass wir gut vorstrukturieren und anschieben müssen, damit alles möglichst gut funktioniert und die Kinder die dringend benötigte Hilfe erhalten.
Aufgrund eines Internet-Ausfalles kann es vorkommen, dass unser Blog nicht ganz regelmäßig hochgeladen werden kann.
Seit zwei Tagen ist das traditionelle indische Ganesha-Festival, das die Hindus inbrünstig feiern. Ganesha ist ein Gott mit Elefantenkopf und gilt als die Verkörperung von Weisheit, Glück und Erfolg.
Die Hindus feiern ca. 11 Tage lang, innerhalb der 11 Tage wird die verschieden große Figur (meist mindestens 2m groß) der Gottheit in einem Fluss oder See versenkt, bis dorthin wird von den frühen Morgenstunden bis zu den späten Nachtstunden lautstark musiziert, getrommelt und gesungen. Rund um unsere Unterkunft befinden sich mehrere Ganesha-Tempel, die alle ihr eigenes Fest zelebrieren, so dass wir ordentlich indisch beschallt werden. Das Ganesha-Fest ist ein besonderes Erlebnis und ähnelt atmosphärisch unserem Karneval/Fasching. Bei manchen von uns liegen wegen akutem Schlafmangel durch diese gefühlte 24h-Dauer-Party ein wenig die Nerven blank…;-)
Wir hoffen auf baldige Versenkung der Elefanten!
Unser Tag startete – da Sonntag – wieder mit einem gemeinsamen Gottesdienst zusammen mit den Kindern. Ulrike überlegte sich aufgrund des starken Monsunregens der letzten Tage die Geschichte der Arche Noah:
Nachmittags sind wir dann mit allen 45 Kindern ins Kino gefahren und haben uns eine dreistündige Bollywood-Blockbuster-Liebesschnulze (typisch indisch) angeschaut. Die Kinder fanden´s super, in der Filmpause gab´s Popcorn und Samosa und auch wenn die Kleinen vermutlich die Handlung nicht so ganz verstanden, hingen sie gebannt an der Kinoleinwand. Ein solches Erlebnis findet weniger als einmal jährlich statt, eher dann, wenn Besuch da ist und es einen Sponsor gibt, in diesem Fall Ulrike Paepers 90-jähriger Vater, der diesen Event finanziert hat. Danach rollte uns der ansonsten als Schulkinderbeförderungsmittel genutzte Bus des Child Guidance Centre zurück durch die smoggeplagten und überfüllten Straßen Hyderabads zurück ins Happy Home. 45 Kinder hatten eine sichtbare „good experience“ und auch uns hat es sehr gut gefallen, den Kindern einen schönen Nachmittag mit ermöglicht zu haben.
Unten unser gelber Schulbus, der uns gerade vor dem Kinokomplex ausgeschüttet hat.
Ein noch relativ leerer Kinosaal, der sich aber noch füllte und insgesamt ca. 600 Personen fasst. Zu sehen sind „unsere“ Kinder auf Platzsuche.
29.08.2017
Derzeit erleben wir sehr viele Strom- und Internetausfälle. Der erfreuliche Aspekt dabei, dass die 20-stündge lautstarke Beschallung aufgrund des Ganesha-Festivals (Gebete aus der Konserve, Trommelmusik, Umzüge mit Fahrzeugen und Menschen a la Oktoberfest nur bunter und lauter), die schon seit 25.8. anhält gezwungenermaßen auch Pause hat.
Gestern waren wir wieder auf Tour, um ein weiteres Projekt zu besuchen: Das Betty-Huber-Haus, ein Junior College mit Wohnheim für finanziell Benachteiligte sowie ein weiteres Happy Home nur für Mädchen. Daneben ist das Gebäude der „Tobi-School“- der Name ist unserem Mitreisenden Tobias Paeper gewidmet- in welcher behinderte Kinder aus den ländlichen Gegenden beschult werden. Die Kinder werden mit hauseigenen Schulbussen morgens abgeholt und am Nachmittag wieder nach Hause gefahren. Die Kinder haben uns – nun für uns zum letzten Mal - nach indischem Brauch mit Blumenkränzen, Gesang und Tanz willkommen geheißen, danach durften wir die einzelnen Klassen besuchen und besichtigen. Wie in allen Projekten des Child Guidance Centre liegt das Hauptaugenmerk darauf, möglichst vielen sozial und gesellschaftlich benachteiligten Kindern möglichst gute Startchancen für deren zukünftiges Leben zu geben. In Indien sind die Gruppe der Dalits („Unberührbare“, nicht dem Kastensystem Zugehörige) die am meisten benachteiligte Gesellschaftsschicht. Sie werden bis heute oft ausgeschlossen, verachtet oder bestenfalls ignoriert. Behinderte Dalits haben hier ohne Unterstützung keinerlei Entwicklungschancen. Die Situation in den Projekten ist um ein Vielfaches besser als in staatlichen Einrichtungen, mit unseren Versorgungsbedingungen aber nicht vergleichbar und so bleibt nach jedem Besuch ein trauriges Gefühl zurück und tausend Ideen und Wünsche der Optimierung. Wie selbstverständlich können viele behinderte Kinder bei uns operiert werden, und so ist es zum Beispiel sehr schwer, mit anzusehen, wie ein Kind mit Klumpfuß zurecht kommen muss, wissend, dass ihm eine Operation – die für das Kind hier nicht bezahlbar ist - das Leben erleichtern würde!
Neben unserem Besuch haben wir es gestern geschafft, 48 Kinder, die im Happy Home leben zu screenen, um sie anschließend in die Sandspiel- oder Lifeline-Gruppen einzuteilen. Unsere üblichen Fragebögen haben wir ins telugu übersetzt, die Fragebögen der kleinen Kinder ließen wir von den Betreuern, die die Kinder gut kennen ausfüllen, mit den älteren Kindern und Jugendlichen saßen wir zusammen, um mit ihnen gemeinsam die Bögen auszufüllen. Von allen Kindern sind 80% belastet und 50% erfüllen das Vollbild einer schweren Depression und/oder Posttraumatischen Belastungsstörung. Auch die indischen Kinder kennen suizidale Gedanken und selbstverletzendes Verhalten, es ist jedoch – gesellschaftlich bedingt – schwer, offen darüber zu sprechen und im Interview mit den Betreuern achtsam handzuhaben, da die Erwachsenen sehr schnell dazu tendieren, die Kinder in Richtung „Happyness“ zu beeinflussen. Hier können nun zwei Sandspielgruppen mit den Kleinen und zwei Lifeline-Gruppen mit den älteren Kindern beginnen! In unseren Kursen – heute starteten wir den vierten TraumaHelfer“-Kurs - werden wir auch nicht müde, anzuregen, den Kindern Raum für ihre „painfull experiences“ zu geben, im geschützten Rahmen noch einmal in die Vergangenheit zu blicken, diese mit geeigneten Techniken aufzuarbeiten und dann den Blick in eine wirklich leichtere Zukunft zu öffnen.
Abschied
An unserem letzten Tag haben wir noch mal alle Schulklassen des Child Guidance Centre, in dem wir während unseres Aufenthaltes in Hyderabad gewohnt haben, besucht. Alle „special children“ zeigten uns mit ihren Lehrern stolz ihre Unterrichtsmaterialien und winkten uns nach vielem Händeschütteln „Good by“. Wir verteilten Süßigkeiten und lobten ausgiebig die gezeigten Werke.
Am Nachmittag kamen die Happy Home-Kinder nach Hause und bereiteten uns ein kleines Abschiedsfest. Sie sangen ihre Lieder und aßen mit uns gefüllte Teigteilchen. Der Prof nahm zum Schluss die Gitarre in die Hand und wir sangen mehrmals gemeinsam „We are the World“ von Michael Jackson. Rajani musste den Text auf telugu übersetzen, so dass die Kinder verstanden, was sie mit uns sangen. Es hat ihnen gut gefallen und uns sehr berührt, denn diese Kinder sind die Zukunft ihres Landes („We are India – We are the future. We are the instruments of social change“) mit besseren Chancen und Möglichkeiten als die vorherige Generation – und es gibt viel zu tun in diesem Land voller Gegensätze.
Danach luden wir die Koffer in den Schulbus und in Begleitung von Rajani (die nach unserem Besuch urlaubsreif ist ;-)) und Lusi, einem Happy Home-Jungen zum Flughafen. Am Aufzug winkten wir ein letztes Mal, bevor wir in den dritten Stock zur Abflughalle befördert und vom umfangreichen Procedere des Check-In abgelenkt wurden.
Wir alle lassen Indien mit gemischten Gefühlen hinter uns:
Tobi: Er verlässt wehmütig seine Heimat Indien, kommt aber im November bereits wieder!
Ulrike: Sie kommt voraussichtlich erst in 1 ½ Jahre wieder in ihre zweite Heimat Indien, kehrt aber gerne auch wieder nach Deutschland zurück.
Elias: Er verlässt Indien nach einem kulturell sehr intensiven Erlebnis gerne und freut sich auf das erste europäische Essen, Schokolade, eine warme Dusche und seinen Hund. Er hat in Indien Freunde gewonnen, die er wieder sehen möchte und auch wenn das sich stark wiederholende indische Essen jetzt Pause haben soll, hat es ihm sehr gut geschmeckt und er hat eine Ladung an Gewürzen, eine Dosa-Pfanne und Kochideen im Koffer. Die Abenteuerlust ist ungebremst!
Thomas: Er fliegt sehr zufrieden nach Hause, ist beeindruckt von der Freundlichkeit und dem Engagement der Menschen, der Lebensenergie der Kinder und dankbar für die Erfahrungen, die er in allen Bereichen machen durfte.
Beate: Sie fliegt mit vielen Gedanken und inneren Bildern über die Schicksale der indischen Menschen und insbesondere der kennen gelernten Kinder nach Hause, ist überwältigt von den Gegensätzen dieses Landes, der enormen Armut und dem gleichzeitigen Reichtum, der Gewalt und dem Wunsch und Streben nach Frieden, der Trostlosigkeit und dem bunten Leben, dem Hunger und der Fülle an Nahrung, dem Lärm und der Stille, dem unüberschaubaren Gewimmel und der Leere…und voller Dankbarkeit für die Erfahrungen, Begegnungen und das entgegengebrachte Vertrauen!
Indien, wir denken, wir kommen wieder!
Nun fliegen wir erst mal nach China, um auf dem Weltkongress für Psychosomatik unsere Projekte vorzustellen und werden den Einladungen aus weiteren Ländern, unsere TraumaHelfer-Kurse auch dort anzubieten, so weit möglich folgen.
Bleibt dran, wir werden euch auf dem Laufenden halten und vielen herzlichen Dank für euer Interesse an unserem Projekt!